Interview

Göttinger Unternehmer gründet Genossenschaft

Hermann Heldberg, Naturkost Elkershausen, will regionale Strukturen stärken

Regionale und dezentrale Strukturen erhalten, stärken und fördern – das ist das erklärte Ziel der Fair-Bio Genossenschaft. Am 19. Juni fand die Gründungsversammlung statt. Haupt-Initiator und geistiger Vater der Genossenschaft ist Hermann Heldberg, Bio-Pionier, Gründer und Geschäftsführer des Bio-Großhandels Naturkost Elkershausen – seit 1994 mit seinem Lager und seinen Geschäftsräumen in der Levinstraße ansässig, aktuell 148 Mitarbeiter. Hermann Heldberg über seine Ziele, Motivation und Überzeugungen.

Herr Heldberg, seit dem 19. Juni gibt es die „Fair-Bio Genossenschaft in Gründung“. Wer und was steckt dahinter?

Dahinter stecken ich und sieben weitere Initiatoren: Öko-Landwirte, Naturkost-Hersteller und -Händler. Schon seit Sommer 2018 planen wir, eine Genossenschaft ins Leben zu rufen, die unsere regionalen und dezentralen Marktpartner stärkt. Jetzt endlich ist die Fair-Bio Genossenschaft aus der Taufe gehoben und die Gründungsphase hat offiziell begonnen. Ab etwa Oktober können Genossenschaftsanteile gezeichnet werden.
Das Ziel unserer Genossenschaft ist die Erhaltung regionaler Strukturen in der Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung ökologisch erzeugter Lebensmittel.

Warum brauchen regionale Erzeuger, Verarbeiter und Händler Unterstützung? Bio boomt doch gerade – besonders jetzt in der Corona-Krise.

Ja das stimmt, Bio boomt. Aber gleichzeitig – oder besser gesagt dadurch – verändert sich der Bio-Markt gerade disruptiv. Ich erkläre das:
Als wir vor mehr als 40 Jahren die Firma Naturkost Elkershausen gründeten, steckte der Bio-Anbau in den Kinderschuhen. Kleine handwerkliche Betriebe begannen mit der Verarbeitung von Rohstoffen aus ökologischem Anbau. Diese regionalen Strukturen – vom Erzeuger über den Verarbeiter bis zum Laden – haben lange Jahre den Bio-Markt geprägt und tut es bis heute. Es ging nie ausschließlich um den Ökolandbau, immer auch um ein vertrauensvolles und wertschätzendes Miteinander, um Fairness an jeder Stelle der Wertschöpfungskette, um ein anderes Wirtschaften als das preisaggressive und ausschließlich preisgetriebene.
Seit das Marktvolumen die Größenordnung von fünf Milliarden Euro überschritten hat, ist der konventionelle, konzerngeführte Lebensmitteleinzelhandel (LEH) groß in den Bio-Markt eingestiegen. Heute stehen in den Regalen aller Lebensmittelmärkten Bio-Lebensmittel.

Bio-Lebensmittel im Supermarkt – was ist daran schlecht?

Im Prinzip ist daran nichts schlecht. Wir wollen ja, dass viele Menschen Bio kaufen können. Und Bio-Hersteller, die mehr produzieren, als die innhabergeführten Bioläden verkaufen können, müssen sich zusätzliche Absatzwege suchen.
Aber im konzerngeführten LEH spielt der Preis wieder die wesentliche Rolle: es „muss“ billig sein. Diese Preispolitik hat in der Vergangenheit zu einer Konzentration in allen Bereichen der Produktion geführt: Die Höfe wurden immer größer, die Anzahl der Tiere pro Stall und Betrieb nahm solche Ausmaße an, dass es heute eine Massentierhaltung gibt, die seit Jahren umstritten ist. Und Verarbeitungsstrukturen mit Arbeitsbedingungen, die aktuell große Probleme bereiten.
Und hier setzt die Genossenschaft an. Sie will die vorhandenen Strukturen in der ökologischen Wirtschaft erhalten und unterstützen, sei es durch Darlehen oder auch Beteiligungen, angefangen bei den Höfen über handwerkliche Verarbeitungsbetriebe bis hin zu den Händlern. Die verschiedenen Formen der Unterstützung sind erst in Planung, konkret wird es nach der Eintragung ins Genossenschaftsregister.

Warum braucht die Welt – oder besser gesagt die Region – noch eine Initiative? Was ist das Einzigartige der Fair-Bio Genossenschaft?

Das Besondere bei unserer Genossenschaft ist, dass sie vor allem die Endverbraucher anspricht und einbindet. Wir wollen viele Menschen sensibilisieren, mit ihrem Engagement zur Erhaltung der bestehenden regionalen Strukturen beizutragen. Die Genossenschaft ist der Anfang einer starken Bewegung. Aus diesem Grund kostet ein Genossenschaftsanteil auch nur 100 Euro, sodass sich viele Verbraucher*innen das leisten können. Mit ihrem demokratischen Charakter ist die Form der Genossen-schaft besonders gut geeignet für eine Solidargemeinschaft entlang der Bio-Wertschöpfungskette. Egal, wieviel Anteile ein Mitglied erwirbt, jeder hat nur eine Stimme.
Wir sind fest davon überzeugt, dass gerade in der heutigen Zeit viele Bürgerinnen und Bürger ein großes Interesse daran haben, regionale Prozesse nicht nur zu erhalten, sondern auch aktiv voranzubringen. Damit wir nicht nur mit dem Etikett „Bio“ in die Zukunft gehen, sondern wirklich mit fairen Erzeugerpreisen, Nachhaltigkeit, biologischer Vielfalt, Natur-, Umwelt- und Klimaschutz.

Göttingen, den 24. Juli 2020

1 Die Initiatoren der Fair-Bio Genossenschaft sind die folgenden Unternehmen: Naturkost Elkershausen GmbH (Haupt-Initiator), Göttingen; Bauck GmbH, Rosche; Biolandhof Müller-Oelbke GbR, Gleichen/Etzenborn; Bio-Obst Augustin GmbH & Co. KG, Jork; Bohlsener Mühle GmbH & Co KG, Bohlsen; Naturkost Erfurt GmbH, Erfurt; Ökoland GmbH Nord, Wunstorf sowie Voelkel GmbH, Höhbeck.

Bildunterschrift: Hermann Heldberg, Geschäftsführer Naturkost Elkershausen. Foto: Alciro Theodoro da Silva

 

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